So begann das Leben unter der deutschen Besatzung und die heimtückische Plünderung durch frühere Nachbarn war bei weitem nicht das Schlimmste, was den Juden bevorstand. Zunächst wurden sie gezwungen an der Kleidung von vorne und hinten sichtbar gelbe Streifen zu tragen.
In die Erinnerung eingebrannt hat sich auch die erste Aktion. Die Deutschen stellten sich in zwei Reihen auf und ließen dazwischen mehrere hundert jüdische Männer durchlaufen (auch Vaters Brüder Abram und Semen). Anschließend wurden sie zum Popov-Hügel in der Nähe des Friedhofs gebracht, wo sie gezwungen wurden, Gräber auszugraben. Danach wurden sie erschossen und zugeschüttet. Anderen Erzählungen zufolge wurden sie lebendig begraben.
Ende Juli oder Anfang August wurden alle verbliebenen Juden in einem Ghetto zusammengetrieben, das beim ehemaligen Erholungsheim am Rand von Puchowitschi errichtet wurde. Die Suchmans – der Großvater, die Mutter und drei Töchter (Sofocka, kleinere Haila und Bruderchen Zalmanka) – mussten sich zu fünft einen Raum teilen. Eines frühen Morgens, an einem Tag im September kurz vor Rosch-Ha-Schana, wurde das Ghetto von den Deutschen umstellt und sie begannen damit, alle auf den Platz hinaus zu treiben. Auf einmal wurde geschossen und der Großvater fiel, wie niedergemäht zu Boden.
Als die Mutter das sah, zog sie eilig der älteren Tochter den Wintermantel und die Filzstiefel an und versteckte sie hinter dem Ofen in einer Ecke des Zimmers. Dort hinterm Ofen lag ihr ganzes Hab und Gut, eingewickelt in ein Laken. Die Mutter setzte Sonia oben auf den Haufen drauf fast unter die Decke.
Was auf dem Platz geschah, sah das Mädchen nicht – sie hörte lediglich den Lärm und die Schreie. Dann wurde alles still und ins Zimmer kamen Leute, die die Sachen hinter dem Ofen mitnahmen. Bald lag Sonia auf dem Boden, da keine Sachen mehr unter ihr waren, aber die Plünderer waren auch weg.
Als es ganz ruhig wurde, ging Sonia in den Hof und dann in Richtung Bahnhof von Puchowitschi und der Siedlung Marjina Gorka. Unterwegs traf sie auf eine unbekannte Frau: «Bist du Jüdin? Dort bringen die eure Leute um, wohin gehst du?» Und Sonia kehrte zurück nach Puchowitschi. Wohin, zu wem? Außer den Juden kannte sie nur einen Menschen näher, einen Kollegen der Mutter von der Sparkasse, namens Maievski. Sie wusste aber nicht wo er wohnte. Nach dem sie die Adresse erfragte, kam sie zu seinem Haus. Als er abends nach Hause kam, fragte er sie zuallererst: «Hast du andere gefragt, wo ich wohne?» – «Ja!» – «Sie haben sicher schon gemeldet, dass ich eine Jüdin verstecke!.. Morgen musst du weg, sonst holen die auch mich.»