Am 26. Juni ging aus Polozk der letzte Transportzug mit Armeeangehörigen ab, an ihn wurden noch einige Güterwagen für die Einwohner angehängt, in einem von ihnen wurden Beba und die Mutter nach Moskau evakuiert. In Polozk blieb allein der Vater zurück. Die Evakuierung wurde ihm nicht gestattet, am 26. Juni errichtete er sein Dienst in der Druckerei, die er nur kurz verlassen konnte, um sich von seiner Frau und Beba zu verabschieden. In der Tat hatte er geglaubt, dass man den Deutschen irgendwie anhalten und schnell fortjagen wird.
«Die letzte Nachricht vom ihm – eine Postkarte, die er an die älteste Tochter schickte:
Polozk, Kommunistitscheskaja 74,
Moskau Moroseika, Petrowerigskij per., 6/8 k. 207-
Zu R.M. London. 30.Juni 1941
Polozk. 30.06. Liebes Töchterlein! Habe deine letzte Karte vom 24. Juni erhalten. Mutter und Beba sind am 26. Juni nach Moskau gefahren. Ich bin sehr besorgt, dass sie noch nicht bei dir sind. Ich bin allein zuhause geblieben. Die Stadt ist in Gefahr, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Neben uns ist eine Bombe niedergegangen, die einen Brand mit vielen Opfern gefordert hat. Ich flehe dich an, telegrafiere mir sofort nach Erhalt des Briefes, ob sie in Moskau angekommen sind. Sie sind vermutlich unterwegs steckengeblieben. Onkel Mendel ist plötzlich nach Moskau abgereist. Versuche doch von ihm zu erfahren, ob sie angekommen sind. Von ihm erfährst du, wo Mutter und Beba sind. Papa. Telegrafiere mir sofort, wenn man das Telegramm annimmt».
Am 15. Juli traten die Deutschen in Polozk ein, in der Stadt richtete sich die 201. Feldschutzdivision ein. Für Ordnung und für Juden war Einsatzkommando der SD verantwortlich. Anfang August gründeten die Besatzer zwei Jüdische Ghettos: Ein am Stadtrand und ein anderes in der Mitte, inklusive Kommunisticheskaja Straße und die Schule Nr. 12. Mitte September wurden alle Juden in ein neues Ghetto in einer Ziegelei neben dem Militärstädchen Borowucha untergebracht. Die Tage ihrer Erschießungen wurden die ersten Augusttage, der 21. November und der 11. Dezember 1941 sowie für jüdische Fachleute und ihre Familien der 3. Februar 1942.
Es ist völlig klar, dass Mendel Josifowitsch London das gemeinsame Schicksal der Polozker Juden teilte und bei einer von dieser Aktionen ums Leben kam.
Der schreckliche hassprägende Krieg hat Bella den Vater gestohlen, was sie lange nicht wusste, nur spürte, und verwandelte sie selbst – einst ein glückliches Mädchen – in ein unglückliches und oft weinendes Fräulein, das jetzt allein alle Fragen lösen musste.